Alle Methoden, die ich schon im vorausgehenden Text – Textdeutung für den Eigenbedarf behandelt habe, kannst du auch als Therapeut einsetzen. Textdeutung für Therapeuten sollte jedoch über den Hausgebrauch hinausgehen. Als Therapeut hast du den Vorteil, deinen Patienten gut genug zu kennen, um intuitiv arbeiten zu können und dennoch hast du ausreichend Distanz, um das zu erkennen, was bei eigener Betroffenheit manchmal den Blick verstellt. 

Außerdem bekommt das laute Lesen eine tiefe Bedeutung, wenn man einem anderen vorliest. Dann merkt dein Patient noch deutlicher, welche Stellen ihm schwer fallen auszusprechen. 

 

Der Therapeut auf Spurensuche

Vor meinen Leben als Therapeutin war ich Polizistin. Wenn das jemand hört, kommt oft die Reaktion: „Das ist aber ganz was anderes.“ Das find ich nicht. Als Polizistin musste ich auch immer aufmerksam sein und genau zuhören, die Berichte genau lesen. Ich war auf Spurensuche, ebenso, wie bei meinem Patienten. Da suche ich Spuren der Ursachen und der Lösungen. So untersuchen ich mit meinem Patienten die Texte, Bilder und auch Träume um Symptome, Probleme und Beziehungen zu ergründen und die nötigen Entwicklungsaufgaben zu ermitteln. In den Texten und anderen Kreativarbeiten, sowie ihren Träumen bilden die Schreiber sich selbst ab, mal mehr, mal weniger deutlich. Denn man kannst nur über dir bekanntes schreiben, malen oder davon träumen. Dabei reicht es auch schon aus, dass man darüber gelesen hat, es im Fernsehen gesehen hat. Es muss nicht alles auf eigene Erfahrungen beruhen. In deinen Texten und denen deiner Schreiber zeigen sich allgemeine Einstellungen sich selbst, anderen und der Welt gegenüber, sowie konkrete Einstellungen zu bestimmten Sachverhalten. 

 

W-Fragen

Auch die W-Fragen aus dem vorherigen Artikel Textdeutung für den Eigenbedarf sind für den Therapeuten wichtig. Dies wirst du jedoch mit einiger Routine nebenbei mit bearbeiten. Denn vieles beantwortet sich bereits aus der therapeutischen Situation. Wer, Wann, Wie, Wozu, Was geschrieben hat, wird in den meisten durch deine Anleitungen gelenkt.

 

Aktiv oder passiv

Einstellungen, sich selbst und der Welt gegenüber, zeigen sich zum Beispiel in der Verwendung der Modi. Schreibt dein Patient im Aktiv oder Passiv. Dabei ist vor allem entscheidend, wie er generell schreibt. Ein einzelner Text ist dabei nur bedingt aussagekräftig. 

Schreibt ein Schreiber jedoch ständig im Passiv- geschehen ihm die Dinge also, ist er ihnen hilflos ausgeliefert oder bestimmt das Schicksal alle seine Geschicke, so wird es Ziel der Therapie sein, ihn eine selbstwirksame Haltung zu bringen. 

Gerade Menschen mit Ohnmachtserfahrungen, als Traumata, fühlen sich den Geschehen und oft auch den Folgen hilflos ausgeliefert. Sie neigen dazu, sich in negativen Emotionen wie Ohnmacht, Trauer, Resignation und Verzweiflung zu verlieren. Deshalb profitieren diese Patienten besonders davon, wenn sie es schaffen in den Aktiv-Modus zu wechseln. Dies zeugt dann davon, dass sie den eigenen Anteil am Geschehen erkennen und ebenso die eigenen Potentiale, um das eigene Leben wieder lebenswert zu gestalten und ggf. auch eine Wiederholung der Erfahrung zu vermeiden. 

Sie beginnen ihr Leben, die Umstände und ihre Beziehungen aktiv zu gestalten. Vor allem bearbeiten sie ihre Problembereiche und Entwicklungsaufgaben. 

Menschen die im Passiv schreiben, müssen nicht zwingend lethargische und depressive Menschen sein, die nur wenig Antrieb verspüren. Es kann auch sein, dass ein ziemlich dynamischer Mensch vor dir sitzt, der seine gesamte Lebenszeit gut durchgetaktet hat mit Arbeit, Hobbies, Sport, Freunde treffen usw. Dies fühlt sich dann meist jedoch auch ziemlich atemlos an. er scheint stets auf der Flucht. Solche Patienten leben so aktiv, um sich ihren Problemen nicht stellen zu müssen. Sie ignorieren sie und lenken sich ab. 

Menschen die im Aktivs schreiben, erkennen ihren Anteil. Dennoch kann es sein, dass sie sich den Dingen nicht gewachsen fühlen. Sie sind resigniert und verurteilen sich selbst. Sie schreiben zwar im Aktiv, dennoch bedarf des der Bearbeitung. 

Der Wechsel vom Passiv zum Aktiv hingegen zeugt von einem positiven Wandel. 

 

Emotionaler Ausdruck 

Die Betrachtung des emotionalen Ausdrucks in Texten ist für Therapeuten neben dem kognitiven Wandel eine der wichtigsten Ebenen. Dabei werden die Gefühle nochmal aktiviert und wiederlebt. Sie werden dadurch erst zur Bearbeitung bereitgestellt. Denn letztlich sind es negative Emotionen, die uns die Probleme bereiten. Egal ob sie bewusst sind oder im Verborgenen wirken und zu belastenden Symptomen führen. Oder auch wenn sie zu Ängsten, Depressionen oder Zwängen führen, wo sie offensichtlicher erscheinen, sind sie nur stellvertretend für die Gefühle der vergangenen Erfahrung. Wird diese bearbeitet und die Kopplung zum Symptom gelöst, kann sich Linderung und Heilung einstellen. 

Außerdem bringt bereits das Schreiben als motorischer Akt eine gewisse Entladung mit sich. Dies entlastet das gesamte System. 

 

Kognitiver Ausdruck

Parallel zur emotionalen Bearbeitung kommt es meist auch zu neuen Einsichten. Dadurch kann die Erfahrung neu bewertet werden. Man dies Neuverhandlung. Emotionen und Kognitionen (Wahrnehmung, Gedanken) beeinflussen sich gegenseitig und bringen sich so auch gegenseitig voran. Manchmal führen neue Einsichten zur Veränderung der Gefühlswelt. Wenn der Patient erkennt, dass es vorbei ist und auch nie wieder passieren kann, wie zum Beispiel beim Trauma seiner Geburt. Aber auch andersherum kann es sein, dass die emotionale Veränderung, dazu führt, dass ein neues Denken möglich wird. Was zunächst unvorstellbar war, erscheint plötzlich nicht mehr so schlimm, wenn die damit verbundenen Ängste aufgelöst werden. 

 

Entwicklungsaufgaben

Entwicklungsaufgaben sind eher zwischen den Zeilen zu suchen. Oft kann man aus dem Symptom und aus den Problemen an sich eine Entwicklungsaufgabe definieren. Manchmal muss man jedoch genauer hinschauen. Welche Konflikte werden durch das Problem oder das Symptom maskiert. Es ist wie ein Symbol, ein Bild, dass man wie ein gemaltes Bild oder Traumbild deuten kann. Das Verhalten oder die Reaktion in Form eines Symptoms hat den Patienten einstmals gute Dienste geleistet. Doch nun gilt es erwachsenen mit den entsprechenden Situationen umzugehen. Dazu müssen meist einige Kompetenzen erworben oder ausgebaut werden. 

Reicht dies nicht, um die Symptomatik auflösen, so müssen zusätzlich chronifizierende Kopplungen gelöst werden. 

 

Hermeneutisches Deuten

Beim hermeneutischen Deuten betrachtest du sowohl die Details, als das große Ganze. Jedes Detail wird in Relation zu den bereits bekannten anderen Details betrachtet. Außerdem wird es in Bezug zum Gesamtinhalt/Problem betrachtet. Diese Wechseldeutung findet solange immer wieder statt, bis sich zunächst keine neuen Erkenntnisse ergeben. 

Man kann diese Art der Deutung auch auf andere Texte und sogar andere Methoden mit anwenden. Du kannst also alle Informationen, die du über einen Patienten gewinnst, durch Gespräche, Bilder, Yoga oder welche Methoden du auch immer in die Deutung mit einfließen lassen, um das Problem im Detail und im Gesamten zu verstehen und eine Lösung zu generieren. 

 

Anzeichen der Integration

Werden die Erfahrungen und Reaktionen (Probleme, Konflikte und Symptome) angenommen, so ist dies der Beginn der Integration. Es können sich neue Einsichten in die Zusammenhänge ergeben. Die Neuverhandlung des Geschehenen ist mit einer neuen -positiven- Bewertung verbunden. Es wird sinnvoll in die eigene Lebensgeschichte integriert. Doch was bedeutet sinnvoll. Ist dann plötzlich alles gut? Nein. Sinnvoll heißt dem ganzen ein Wozu? abzugewinnen. Was kann man daraus lernen und in sein weiteres Leben gewinnbringend integrieren? Welche Fähigkeiten hat man dadurch erworben? Welche Einsichten und Einstellungen können dich im weiteren Leben voranbringen? Wie hat es vielleicht generell deinen Blick auf die Welt hin zum Positiven verändert? Wichtig ist, zu erkennen, dass jeder sein Leben, mit allen unberechenbaren Variablen, sein Leben selbst-wirksam gestalten muss und kann.